Das bisherige Gendern, also Gendern 1, baut auf der Ableitung der weiblichen Formen aus den männlichen auf. (Lehrerin wird abgeleitet aus Lehrer, Studentin aus Student usw.)

Gendern 1.0 – die weibliche Endung -in

Die Endung -in hatte zur Entstehungszeit die Funktion, die Zugehörigkeit einer Frau zu einem Mann zu kennzeichnen. Die Müllerin war die Frau des Müllers – nicht eine Frau, die in der Mühle arbeitet. Nur die Frau des Müllers, ein Anhängsel von ihm.

Gendern 1.1 – endlich nicht mehr Anhängsel

Im Lauf der Zeit kommen immer mehr Frauen in Arbeit und bekommen dort die weibliche Endung zugesprochen, werden Arbeiterinnen, Gärtnerinnen, Sängerinnen.
Das „in“ bedeutet immer weniger „die Frau von“.
Heute ist eine Müllerin jemand, der in der Mühle arbeitet.
Trotzdem behielten die Männer die Kurzbegriffe – der Kardinalfehler beim Gendern 1.
Die Müllerin blieb also – sprachlich gesehen – immer noch Anhängsel. Ein Anhängsel des Müllers, also eines Mannes. Analog zur Genesis in der Bibel, wo Eva aus einer Rippe Adams geformt wird.

Gendern 1.2 – endlich als Frau sichtbar sein

Diese neue Stufe kam mit der Emanzipationsbewegung in den 1960er Jahren ins Rollen. Die Sprache sollte geschlechtergerecht werden. Aber es gelang nicht, das alte „Anhängsel-Problem“ anzugehen. Im Gegenteil, die Mehrheit der Frauen gab sogar den Weg vor,  mit der  „innen-Form“ endlich in der Sprache sichtbar zu sein.
Gerichte und Behörden zementierten diesen Weg, als in den 1990er Jahren eine Frau klagte, sie könne ihren Reisepass nicht abholen, weil das Feld namens „Inhaber“ nur für Männer sei. Sie sei aber kein Inhaber, sondern eine „Inhaberin“.
Das Gericht und später der Bundesrat entschieden, dass auf solchen Formularen in Zukunft „Inhaber bzw. Inhaberin“ stehen muß. Das alles passierte aufgrund einer unvollständig durchdachten Gleichberechtigungsvorstellung, die die  sprachliche Unterordnung der Frauen nicht mit berücksichtigte. Also die Ableitung der Inhaberin vom Inhaber.

Gendern 1.3 – hoppla, die Oberbegriffe sind weg

Seitdem läuft die Phase der Eliminierung der uns alle verbindenden Oberbegriffe. In welcher den Kurzbegriffen, also „Inhaber“, „Lehrer“ oder „Sänger“ ihre Funktion als Oberbegriffe für alle, egal welchen Geschlechts, verloren geht.
Wir erleben das aktuell massiv in den Öffentlich-Rechtlichen Medien. Es gibt keine Minister mehr, sondern nur noch Ministerinnen und Minister. Bevor ein Journalist über eine Zusammenkunft der Landesverkehrsminister berichtet, muß er erst recherchieren, welches Geschlecht bei diesen Menschen vermutet wird. Ob er also von „Landesverkehrsministern“ berichtet, oder von „Landesverkehrsministerinnen und Landesverkehrsministern“ oder von „Landesverkehrsministerinnen“.
Und je weniger Oberbegriffe es gibt, desto mehr verliert langsam jeder einzelne von uns das Gefühl für die Oberbegriffe. Viele erinnern sich noch daran, haben aber bei der Verwendung von Wörtern wie „Lehrer“ ein inneres Verbot, sich darunter einen weiblichen Lehrer vorzustellen. „Das ist doch eine Lehrerin, und kein Lehrer“ heißt es dann.

Der traurige Verlust der Oberbegriffe wird immer offensichtlicher; und unsere Sprache immer ärmer. Eines von vielen traurigen Gendern 1.3 – Blüten: Amanda Goreman sagt in ihrem Inauguration poem, „a skinny black girl can dream of becoming president“. Es ist beschämend, dass sie in der deutschen Sprache nicht mehr an der Seite von Obama und Biden stehen kann. In „Gendern 1.3“ träumt sie – angeblich – nur noch davon, „Präsidentin“ zu werden. Ein kleiner Trost: immerhin erste amerikanische Präsidentin. Unsere Sprache kann nicht mehr das übersetzen, was eigentlich gemeint ist.

Dass Gendern 1.3 keine Lösung ist, wurde spätestens seit dem Beschluss des deutschen BVG von 2017 klar. Nach welchem intersexuelle Menschen, also Menschen, die schon bei Geburt weder eindeutig dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden konnten, nicht mehr diskriminiert werden dürfen. Genau das passiert aber bei „Schülerinnen und Schüler,“ oder „Bürgern und Bürgerinnen“.
Das aktuelle Gendern der Öffentlich-Rechtlichen ignoriert also schlicht und ergreifend einen letztinstanzlichen Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts!

Gendern 1.4 – Schlimmer geht immer: Sprechpause und Sonderzeichen

Die Kurzbegriffe gehören nun endlich vollständig den Männern. Ihre Funktion als Oberbegriffe wurde ihnen genommen. Nicht, weil die Männer darauf bestanden, sondern Frauen und Gerichte.

Vielen dämmert es langsam, dass es nicht ohne Oberbegriffe geht.
Und erfinden in der Not neue:  Schüler*innen, Bürgerr:innen.

Frei nach Adenauer: Wir haben das schmutzige Wasser weg geschüttet, ohne zu schauen, ob wir sauberes als Ersatz haben.
Und müssen nun feststellen, dass wir nur giftiges haben. 

Aber immerhin – diese Art zu reden hat etwas besonderes.
Sie berücksichtigt endlich alle, auch die Nonbinären.
Und der Genderstern symbolisiert mit den vielen Richtungen seiner Strahlen auch die Vielfalt in der Regenbogenfraktion. 

Aber: der Genderstern fällt schon bald dem Doppelpunkt zum Opfer. Weil die Texterkennung der Handys besser mit dem Doppelpunkt als dem Stern zurecht kommt. Und schon haben wir unsere Sprache den Betriebssystemen von Apple und Android untergeordnet.

Und Punkt 2, die besondere Gendergerechtigkeit, erweist sich schnell als das Gegenteil; als waschechte Diskriminierung:
Stellen Sie sich bitte viele „Zuhörer*innen“ vor, einige davon nonbinär. Während die männlichen in dieser Sprache „Zuhörer“ heißen, und die weiblichen „Zuhörerinnen“, haben die Nonbinären tatsächlich keinen eigenen Namen! Dürfen sich gerade mal beim Oberbegriff „Zuhörer:innen“ mitgenannt fühlen. 

Keinen eigenen Namen zu haben, während Männer und Frauen einen haben, das ist wirklich diskriminierend.
Und es kann auch keinen Namen geben. Versuchen Sie mal, aus dem Oberbegriff „Zuhörer:innen“ neben „Zuhörer“ und „Zuhörerinnen“ noch einen dritten Namen abzuleiten, der den beiden anderen halbwegs gleichwertig ist. Das geht nicht. Denn mit Sprachwerkzeugen aus dem binären Menschenbild (Idee zur Sprechpause 1985) kann die nonbinäre Welt (BVG-Beschluss zu intersexuellen Menschen 2017) nicht abgebildet werden.

Eine Sprache wird aber nicht dadurch gendergerecht, dass man sie dazu erklärt.
Sondern dadurch, dass sie es IST.

Nebenbei schafft Gendern 1.4 noch eine furchtbare zusätzliche Diskriminierung. Durch die kompliziertere Sprache werden Menschen, die keine gute Sprachbegabung haben, noch weiter an den Rand gedrängt. Noch weiter, als sie es sowieso schon sind.
Das ist wirklich giftiges Wasser.

Es zeichnet sich immer mehr ab, dass unsere Sprache nicht gendergerecht werden kann, solange das alte Anhängsel-Problem nicht gelöst ist.

Die Kurzbegriffe dürfen nicht den Männern zugeschoben werden!
Sie müssen wieder als echte Oberbegriffe für alle Menschen zurück gewonnen werden.

Alle Geschlechter, egal wie viele es sind, müssen aus diesen kurzen Oberbegriffen auf gleiche Art moviert, also abgeleitet werden.

Die Gendern-1-Formen sind eine Sackgasse.
Statt der Flucht nach vorne müssen wir zurück.
Zurück vor die Zeit, als Gerichte und Behörden den falschen Weg eingeschlagen haben. 
Als sie die Kurzbegriffe den Männern zugesprochen haben, ohne die Folgen zu überblicken.