1. Für nonbinäre Personen

Es gibt einige durchaus logisch durchdachte Vorschläge für ganz neue Artikel der Movierung für geschlechtsneutrale Menschen („Enbys“). Diese stellen allerdings – mit allen Deklinationsformen – eine Neuerung dar, die zu lernen nicht einfach wäre. Ich gehe davon aus, dass sie deshalb vom Großteil der Sprachgemeinschaft nicht angenommen würden.

Der Artikel „das“, den ich vorschlage, ist in meinen Augen (und hoffentlich bald allgemein) keineswegs entwürdigend, da er nicht „sächlich“, sondern schlicht und einfach neutral ist.
(Mensch darf sich wundern, wie die Bezeichnung „sächlich“ für den Artikel „das“ jemals entstanden ist! Gibt es doch hunderte, wenn nicht tausende Wörter, mit denen „Sachen“ (also unbelebte Objekte) bezeichnet werden, die den Artikel „die“ oder „der“ haben.)
„Neutral“ ist aber genau das, was nonbinäre Menschen in Bezug auf ihr Geschlecht sind oder sein möchten.

Am Beispiel „Das Kind“ wird es deutlich: ein Kind hat zwar in den allermeisten Fällen ein Geschlecht, das aber im Rahmen der Bezeichnung „Kind“ nicht von Interesse ist. Es handelt sich einfach um eine nicht erwachsene Person.
Bei einem nonbinären Menschen („Enby“) ist es genau so: es handelt sich um eine erwachsene Person, deren Geschlecht (zumindest im jeweiligen Sprachzusammenhang) uninteressant, unwichtig oder nicht definiert ist. „Das Kind“ – „das Enby“.

2. Für die neutrale Grundform/Kurzform

Die zur Zeit gebräuchlichen drei Artikel zeigen formal auf jeden Fall eine männliche Dominanz:
die Artikel „der“ und „das“ werden z. T. gleich dekliniert (in Genitiv und Dativ Singular).
Der weibliche Singular-Artikel „die“ klingt zumindest im Genitiv und Dativ männlich.
Neue, evtl. zusätzliche Artikel zu entwickeln ist daher als Idee verständlich, aber zu kompliziert. Die vorhandenen Artikel zunächst beizubehalten trägt dazu bei, dass die eine Änderung, die wir vorschlagen – gleichgestellte Movierungen für alle Geschlechter – leichter angenommen wird.

Langfristig sollte es m. E. Ziel sein, die unterschiedlichen Artikel – wie im Englischen – komplett abzuschaffen. Grammatisch möglich ist das absolut, da Deutsch und Englisch genügend ähnlich aufgebaut sind.

Die Tatsache, dass etwa (geschätzte!) 95 Prozent der Kurzformen (bisher genau deshalb meistens als generisches Maskulinum bezeichnet) den Artikel „der“ haben, liegt daran, dass viele, wenn nicht die meisten dieser Wörter „Nomina agentis“ sind. Das bedeutet, dass sie ausTätigkeiten gebildet werden:
Der Lehrer ist eine Person, die lehrt (jeweils beruflich oder auch nicht). Der Sänger ist eine Person, die singt, usw. Gelegentlich finden sich auch die Endungen – eur (Friseur, Ingenieur…), -or (Kantor, Lektor…) und -ist (Florist, Pianist…).

Es ist auffallend, dass alle diese Wörter den männlichen Artikel „der“ tragen. Und es ist meines – und nicht nur meines – Erachtens kein Zufall, dass dieser Artikel männlich ist!
Was Gegenstände betrifft, mag es hier und da Zufall sein, welchen Artikel sie tragen. Möglicherweise gab es seinerzeit auch Gründe dafür, die wir heute einfach nicht (mehr) wissen. In manchen Fällen scheinen Erklärungen möglich zu sein: Die Sonne wurde hierzulande offenbar als weiblich angesehen, der Mond als männlich. In Frankreich ist es genau umgekehrt, und auch hierzulande ist die „Frau Luna“nicht ganz unbekannt. (Natürlich könnte men darüber diskutieren, ob Sonne und Mond überhaupt „unbelebt“ sind – aber das nur am Rande.)
Wenn mensch sich fragt, warum es das Messer, die Gabel und der Löffel heißt, gibt es offenbar keine Antwort, ebenso wenig wie in vielen hundert ähnlichen Fällen bezüglich unbelebter Gegenstände.
Bei Tieren liegt der Verdacht zumindest etwas näher, dass hier Assoziationen vorlagen: die sanfte Giraffe – der starke Löwe – das kindlich-dümmliche Huhn – der Hund (der sogar in der Psychoanalyse als Symbol für Männliches gilt) – die anschmiegsame Katze – das scheue Reh etc., natürlich kann men auch darüber diskutieren.
Aber im Fall der Nomina agentis erscheint es mir offensichtlich, dass es für deren männlichen Artikel einen einfachen Grund gibt: „tätig/aktiv sein“ – also agieren – galt offenbar seit jeher als eine typisch männliche Eigenschaft! Und das zieht sich dann bis in die Benennung „tätiger“ unbelebter Gegenstände hinein: der Rasenmäher, der Schraubenzieher, der Scheinwerfer usw.; es gibt hier keine Ausnahme.
Und das ist – neben der unglücklichen Doppelbedeutung der Oberbegriffe (die ja bisher gleichzeitig für Männer und Frauen galten, für letztere aber keineswegs immer, und dann nur im Sinne des „Mitgemeint-Seins“) genau das, was viele Frauen einfach immer wieder stört. Ganz besonders natürlich, wenn es um Berufsbezeichnungen geht, aber auch sonst.
Das Argument, dass hier nur Genus, nicht aber Sexus bezeichnet würde, erscheint mir auch nach langem Recherchieren und Überlegen nicht richtig zu sein. Zu diesem Thema gibt es viele Ausführungen, z. B. von Prof. Damaris Nübling.*

Die kurze Grundform, die alle Menschen bezeichnet, mit dem Artikel „das“ zu versehen, wäre daher also durchaus irgendwie  logisch.
Trotzdem halte ich eine offizielle Einführung des Artikels „das“ für die neutrale Kurzform inzwischen nicht mehr für ratsam, da diese Maßnahme ebenfalls zu kompliziert und damit abschreckend wirken könnte.

Mein zusätzlicher Vorschlag:
Wann immer ein Sprecher das Anliegen hat, die Neutralität der Grundform zu betonen, kann der neutrale Artikel „das“ optional verwendet werden.

Es heißt also offiziell wie gewohnt „der Maler“, „der Bäcker“, „der Besitzer“ etc. – allerdings auch „die Geisel“, „die Koryphäe“… .
Optional möglich ist daneben „das Maler, Bäcker, Besitzer, Geisel, Koryphäe“ etc.

 

* D. Nübling: „Und ob das Genus mit dem Sexus“, erschienen in Sprachreport Jg. 34 (2018) Nr. 3, S. 44 – 50