Das bisherige Gendern, also Gendern 1, baut auf der Ableitung der weiblichen Formen aus dem Oberbegriff bzw. der männlichen Form auf: „Lehrerin“ wird abgeleitet aus „Lehrer,“ „Studentin“ aus „Student“ usw.
Eine ungleiche Geschlechtszuweisung, die in der Fachsprache „asymmetrische Movierung“ genannt wird.

Gendern 1.0 – Die weibliche Endung -in

Die Endung -in hatte zur Entstehungszeit wahrscheinlich die Funktion, die Zugehörigkeit einer Frau zu einem Mann zu kennzeichnen. Die Müllerin war die Frau des Müllers – nicht eine Frau, die in der Mühle arbeitet. Nur die Frau des Müllers, ein Anhängsel von ihm.

Gendern 1.1 – Endlich nicht mehr Anhängsel

Im Lauf der Zeit kommen immer mehr Frauen in Arbeit und bekommen dort die weibliche Endung zugesprochen, werden Arbeiterinnen, Gärtnerinnen, Sängerinnen.
Das „in“ bedeutet immer weniger „die Frau von“.
Heute ist eine Müllerin jemand, der in der Mühle arbeitet.

Trotzdem blieb die Ungleichheit. Während die Männer weiter im Schutz des Oberbegriffes blieben, wurden die Frauen aussortiert. Die Müllerin blieb – sprachlich gesehen – immer noch Anhängsel. Ein Anhängsel des Müllers, also auch eines Mannes. Analog zur Genesis in der Bibel, wo Eva aus einer Rippe Adams geformt wird.

Gendern 1.2 – Die Sprache wird feminisiert

Wie der Historiker Götz Aly 2017 veröffentlichte starteten ausgerechnet Adolf HItler und seine Schergen diese Phase. 1918 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt, gleichzeitig sank das Wahlalter von 25 auf 20 Jahre. Offensichtlich um diese beiden Gruppen zu gewinnen starteten die Nazis ihre Reden grundsätzlich mit „Volksgenossen und Volksgenossinnen“, auf Parteiveranstaltungen mit „Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen“. Per Volksempfänger wurden ab 1933 mit diesen Reden auch die Doppelnennungen massiv verbreitet und konnten sich so tief ins Sprachverständnis einer ganzen Sprachgemeinschaft einbrennen. 

Anfang der 1980er Jahre gab es unter den Feministinnen eine Auseinadersetzung darüber wie eine geschlechtergerechte Sprache in Zukunft aussehen könnte. Statt wie von Luise F. Pusch vorgeschlagen auf die Kurzbegriffe plus Geschlechtszuweisung per Artikel zu setzen entschieden sich die Frauen ausgerechnet für den Weg, den die Nazis 50 Jahre zuvor so massiv propagierten. Folgerichtig klagte Anfang der 90er Jahre einer Frau vor Gericht,  dass sie ihren Reisepass nicht abholen könne. Im Feld für die Empfangsbestätigung wären mit „Inhaber“ nur die Männer gemeint. Sie sei aber kein Inhaber, sondern eine „Inhaberin“. Das Gericht und später der deutsche Bundesrat folgten dieser Argumentation und ignorierten so eine jahrtausende alte geschlechtsunabhängige Nutzung der Kurzbegriffe.²

Paradoxerweise wählten die Feministinnen mit dieser Sprache freiwillig eine asymmetrische und die Frauen benachteiligende Geschlechtszuordnung, denn „Inhaberin“ ist abgeleitet von „Inhaber“. Diese sprachliche Unterordnung der Frau unter den Mann passte zwar zum Frauenbild der Nazis, die Doppelnennungen war aber offensichtlich schon so tief im Sprachverständnis verankert dass selbst die Feministinnen von damals diese Denkart nicht in Frage stellten.

Gendern 1.3 – Das Verschwinden der Oberbegriffe

Durch die Gegenüberstellung der weiblichen zu der als männlich interpretierten Kurzform (Genossen/Genossinnen) leiteten die Nazis einen Vorgang ein, den die Öffentlich-Rechtlichen heute zu vollenden scheinen. Dort gibt es offen sichtlich keine Wähler, keine Sportler und keine Franzosen mehr. Nur noch Wähler und Wählerinnen, Sportler und Sportlerinnen und Franzosen und Französinnen.
Die Öffentlich-Rechtlichen, in deren Statuen ein Verbot der Manipulation festgeschrieben ist, bringen eine von Hitler aus opportunistischen Gründen erzwungene Sprachveränderung zu Ende. Eine Sprachveränderung, die einer Sprache die viele Jahrtausende alten geschlechtsunabhängigen Oberbegriffe raubt. 

Und das, obwohl es heißt dass das Geschlecht doch keine Rolle mehr spielen soll. Nun muss also ein Journalist vor seinem Bericht über eine Zusammenkunft der Landesverkehrsminister  recherchieren, welches Geschlecht bei diesen Menschen vermutet wird. Ob er also von „Landesverkehrsministern“ berichtet, oder von „Landesverkehrsministerinnen und Landesverkehrsministern“ oder von „Landesverkehrsministerinnen“.

Je weniger Oberbegriffe gesprochen werden, desto mehr verliert jeder einzelne von uns nach und nach das Gefühl für die Oberbegriffe. Viele erinnern sich noch daran, haben aber schon heute bei der Verwendung von Wörtern wie „Lehrer“ ein inneres Verbot, sich darunter einen weiblichen Lehrer vorzustellen. „Das ist doch eine Lehrerin, und kein Lehrer“ heißt es dann.

Der traurige Verlust der Oberbegriffe wird immer offensichtlicher; und unsere Sprache immer ärmer. Eines von vielen traurigen Gendern 1.3 – Blüten: Amanda Goreman sagt in ihrem Inauguration poem, „a skinny black girl can dream of becoming president“. Es ist beschämend, dass sie in der deutschen Sprache nicht mehr an der Seite von Obama und Biden stehen kann. In „Gendern 1.3“ träumt sie – angeblich – nur noch davon, „Präsidentin“ zu werden. Ein kleiner Trost: immerhin erste amerikanische Präsidentin. Unsere Sprache kann nicht mehr das übersetzen, was eigentlich gemeint ist.

Dass Gendern 1.3 keine Lösung ist, wurde spätestens seit dem Beschluss des deutschen BVG von 2017 klar. Nach welchem intersexuelle Menschen, also Menschen, die schon bei Geburt weder eindeutig dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden konnten, nicht mehr diskriminiert werden dürfen. Genau das passiert aber bei „Schülerinnen und Schüler,“ oder „Bürgern und Bürgerinnen“.
Das aktuelle Gendern der Öffentlich-Rechtlichen ignoriert also schlicht und ergreifend einen letztinstanzlichen Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts!

Gendern 1.4 – Der Versuch, eine asymmetrische Sprache gerecht zu machen

Die „Inhaber*innen“ und „Genoss:innen“ erscheinen wie der verzweifelte Versuch aus dem oben beschriebenen Chaos irgendwie noch das Beste zu machen. Mit den aktuell zur Verfügung stehenden Mitteln, also den als männlich interpretierten Kurzformen und den daraus abgeleiteten weiblichen Formen neue Oberbegriffe zu schaffen.  Nachdem die jahrtausende alten dem opportunistischen Trick Hitlers und der Kurzsichtigkeit von Frauen und Gerichten zum Opfer gefallen sind.

Der Weg mit den Sternchen wird inzwischen offensichtlich wegen seiner vielen Unzulänglichkeiten verworfen³
Und es ist ja wirklich so dass die Gendergap-Sprache gleich mehrere faktische Diskriminierungen in die Welt setzt um eine nur von einer Minderheit empfundene zu beenden.

Aber genau wie die Gendergap-Sprache sind aber auch Doppelnennungen keine Lösung. Aus einer asymmetrischen Sprache kann nie eine gerechte Sprache werden. Alle Gendern-1-Formen sind eine Sackgasse, und je schneller unsere Sprachgemeinschaft da raus findet um so besser. Sonst wird ein unendlicher Streit unsere Gesellschaft immer weiter Richtung Spaltung treiben.

Zur Lösung müssen wir zurück zur Zeit als Gerichte und Behörden den falschen Weg eingeschlagen haben, als sie die Kurzbegriffe den Männern zusprachen ohne die Folgen zu überblicken. Und dann an dieser Stelle einen grundlegend sinnvollen Weg einschlagen. Wir kennen keinen anderen als Gendern 2.0.

¹ Es gibt tausende von Quellen. Einfach per Internetrecherche z..B. nach „Reden“ und „Hitler“ suchen und das Ergebnis filtern nach Büchern oder Filmen. 
² Eckart Meineke, Studien zum genderneutralen Maskulinum, 2023, 
³ DER SPIEGEL 31/2024, „Hat es sich bald ausgegendert?