„Und jetzt schnallen Sie sich an“, sagte Claus Kleber am 5. Januar 2020 im „heute Journal“ und benutzte die Gendersprache mit Sprechpause.
Im Juli ’23 behauptete Carmen Miosga in den Tagesthemen: „Zu unserer Ehrenrettung muss ich sagen, wir gendern hier nicht, und ich glaube es gibt auch keine andere öffentlich-rechtliche Nachrichtensendung in der das getan wird.“
Redet aber gleichzeitig von „Ministerinnen und Ministern“, die für „Bürgerinnen und Bürger“ dies und jenes entscheiden. Womit sie offensichtlich keine Wörter mehr für alle Menschen hat, die ein Ministeramt bekleiden, und für alle Bürger im Land, egal welchen Geschlechts. Sonst würde sie sie benutzen.

Das scheint also die neue Linie zu sein. „Gendern“ ist nicht mehr das Benennen von von ‚Gendern‘, also Geschlechtern, sondern nur das Nutzen von Sonderzeichen und Sprechpause.

Ein schlauer Weg unserer Medien, den Gendersprachenstreit durch Umdefinieren als beendet und gelöst zu erklären: „Wir Gendern nicht, weil wir keine Sonderzeichen mehr nutzen. Wir nutzen nur Doppelnennungen, und da kann uns doch wirklich niemand einen Vorwurf machen“

Nein nein, kein Vorwurf, außer ein paar „Kleinigkeiten“:

Das deutsche BVG hat 2017 zweifelsfrei und letztinstanzlich klargestellt, dass es Menschen gibt, die schon bei Geburt weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich sind, und dass diese nicht aufgrund ihres nicht eindeutigen Geschlechts diskriminiert werden dürfen.

Wie wichtig Wahrnehmung und Integration intergeschlechtlicher Menschen ist zeigt die traurige Debatte um Imane Khelif im Frauenboxen. Wie können Menschen, die mit einem intersexuellen Geschlecht geboren sind je wahrgenommen oder gar zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz kommen, wenn es sie – alleine schon in der Sprache – gar nicht gibt? Wenn Ansprachen wie „Liebe Sportlerinnen und Sportler“ die Existenz dieser Gruppe schon im Ansatz verschweigt? Jedes „Liebe Schülerinnen und Schüler“ ist für  intersexuelle Kinder ein Stich ins Herz; denn so wird ihnen vermittelt, dass es für sie keinen Platz gibt. Und für ihre Mitmenschen ist es das Signal, dass alles, was nicht eindeutig Mann oder Frau ist, verschwiegen gehört.

Nein, alles ok, liebe Medien. Alles, außer dass ihr einen Beschluss des Bundesverfassungsgericht mit Füßen tretet und Menschen mit euren Doppelnennungen auf eine furchtbare Art diskriminiert. Und: da spielt es keine Rolle, wie viele oder wie wenige das sind: Keine Diskriminierung mehr heißt keine Diskriminierung mehr!

Der zweite Punkt, liebe Medien: Wer von „Boxern und Boxerinnen“ spricht, der hat keinen Oberbegriff mehr für alle, die boxen. Unsere Sprache hatte diese Oberbegriffe; mehrere tausend Jahre lang. Sie hießen z.B. „Boxer“ und standen für alle Menschen, die boxen. Natürlich auch solche wie Imane Khelif. Dieser Oberbegriff wurden in den 1990er Jahren durch Gerichte aufgrund unbewiesener feministischer Vorwürfe eliminiert. Inzwischen konnte die Sprachwissenschaft diese Vorwürfe widerlegen. Die Oberbegriffe sind aber in diesen 30 Jahren trotzdem fast schon verschwunden. Sowohl aus den Verordnungen als auch aus unseren Köpfen.
Den Gerichten fiel damals nichts besseres ein als die Kurzbegriffe den Männern zuzusprechen. Statt sie als Oberbegriffe zu behalten, und der Sprache Zeit zu geben zur Bildung eigener Moveme für Männer und Nonbinäre. Also für die Bildung von Endung, wie Frauen sie mit dem „-in/-innen“ schon lange haben. Heute könnten so auch Nonbinäre mit einer eigenen Endung wahrgenommen werden. Erst in der Sprache, dann in den Köpfen, und vielleicht irgendwann auch im sportlichen Wettkampf.
Sonst, liebe Medien, ist alles ok. Außer, dass ihr auf Geheiß von Gerichten und Gremien unserer Sprache eine Grundstruktur raubt, die sie immer hatte und die als einzige die Chance birgt, WIRKLICH gendergerecht zu formulieren!

Es stimmt bedenklich, wenn prominente Journalisten am Ende ihres langen Artikels im Spiegel 31/2024 zwei Sprachwissenschaftler euphemisch zusammenfassen lassen: »Neutralisierungen und Doppelformen siegen».

Wenn es diesen Sieg tatsächlich gibt, dann sind auch die Verlierer klar: unsere Sprache und die Gendergerechtigkeit!
Die Sprache verliert ihre Oberbegriffe, und nonbinäre Menschen ihre Wahrnehmung.

Ein trauriger Kompromiss, 2023 durch Carmen Miosga gestartet und heute offensichtlich durch viele Instanzen akzeptiert.

Ebenfalls nachdenklich stimmt es, wenn sogar Sprachrettungsinitiativen wie  die von Sabine Mertens in Hamburg oder Gendersprachverbote wie die in Bayern, Hessen, Sachsen & Co sich nur noch gegen die Sonderzeichen richten. Den Verlust der Oberbegriffe für Menschengruppen einfach so hinnehmen. Doppelnennungen sogar selbst nutzen; ohne den damit verbundenen Verlust für die Sprache überhaupt zu realisieren.

Dass die Sprache die Oberbegriffe und die Nonbinären ihre Wahrnehmung verlieren – welch fauler Kompromiss!

Nein, es wird auf diesem Weg keine Ruhe einkehren, denn es geht auf beiden Seiten zu viel verloren. Zuviel Sprache, und zuviel Gerechtigkeit.

Es gibt nur eine Lösung heraus aus dem Sprachenstreit: zurück zu den alten Oberbegriffen, verbunden mit einer symmetrischen Movierung.
Oder, einfach gesagt: Gendern 2.0