Unsere Sprache gibt gerade ihre Nomina Agentis, also Wörter für handelnde Personen auf.

Es geht nicht um ein paar Unwörter des Jahres,  sondern um sehr viele Wörter. Wörter, die unser elementares Miteinander beschreiben, von der Wiege bis zum Tod. Geburtshelfer und Erzieher, Schüler und Lehrer, Bäcker und Köche, Sänger und Tänzer, Hochstapler und Tiefflieger, Vorkämpfer und Mitläufer,  Politiker und Querdenker, Pfleger und Grabredner, wirklich sehr viele Wörter.
Dass sie alle ihre Funktion als Oberbegriff verliert, die sie Jahrtausende lang hatten, das ist ein unerhörter Vorgang.  Einer, der schnell zu Streit geführt hat, und dessen zukünftige Auswirkungen wir immer nicht überblicken. Denken Sie bitte daran, wie populistische Parteien gerade erfolgreich Stimmen einfangen mit dem Versprechen, die alte Sprache zurück zu bringen. 

Und nun, seit 2017, sind die als Ersatz gelobten Doppelnennungen sogar rechtswidrig, da sie eine verfassungsrechtlich vor Diskriminierung geschützte dritte Gruppe ausschließen.

Wie konnte es passieren, dass Gerichte uns in in den 1990er Jahren in diese verfahrene Situation führten, um dann 20 Jahre später zu erkennen welches Dilemma sie da schufen?
Und wie konnte es passieren dass heute der ÖRR die rechtlich festgeschreibene  “integrierende Funktion für das Staatsganze” aufgibt indem er die Sprache nicht nur komplizierter macht, sondern auch noch offen Rechtsbruch betreibt?

Die Gendergerechtigkeit kann es nicht gewesen sein. Die mit dem Deutschen verwandten germanischen Sprachen Englisch, Isländisch, Niederländisch, Dänisch, Schwedisch und Norwegisch, alle früher wie wir mit eigenen weiblichen Endungen unterwegs, lösten dieses Problem ganz einfach. Indem sie die diskriminierenden weiblichen Endungen langsam, aber sicher auslaufen ließen. So kamen sie per natürlicher Entwicklung, quasi geräuschlos, zu einer gerechten und einfachen Sprache. Einer, die nicht ständig zur Nennung von Geschlechtern zwingt, wo es nicht um Geschlechter geht.

Wieso also dieser verrückte deutsche Sonderweg? Das kann kein kleiner Grund gewesen sein, denn es geht wirklich um sehr massive Vorgänge.

Wie es aussieht gibt es gleich zwei Gründe, und nur deren unglückliche Verknüpfung war dazu in der Lage unsere Sprache in diese Sackgasse zu führen.

  • Um 1920 starteten ausgerechnet die Nazis die “innen”- Flut, indem sie, also die ganze Führungsriege, praktisch all ihre Reden mit “Volksgenossen und Volksgenossinnen”, „Parteigenossen und -genossinnen“ oder “Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen” begannen. Sie taten das offensichtlich, um die seit 1918 mitwählenden Frauen für sich zu gewinnen. Sie machten das als einzige Partei, die anderen nutzten die Jahrtausende alten Oberbegriffe.
  • Anfang der 1980er setzten ausgerechnet die deutschen Feministinnen diese Feminisierung der Sprache auf Kosten der Oberbegriffe fort. 40 Jahre nach den “Volksgenossinnen” und “Nationalsozialistinnen” der Nazis sahen die Frauen offenbar keinen anderen Weg², als die Frauen auf dieselbe Art „in der Sprache sichtbar zu machen“ wie zuvor die Nazis; offensichtlich ohne sich dessen bewusst zu sein. Anscheinend hatten sich die in all den Nazireden enthaltenen und per Volksempfänger bis in den letzte Winkel des Reiches verbreiteten Doppelnennungen so tief ins Sprachverständnis gebrannt, dass zwar nach 1945 ihre Herkunft verdrängt war, nicht aber die Art so zu Reden. 

Jeder dieser beiden Faktoren hätte für sich wahrscheinlich nicht die Kraft gehabt eine ganze Sprachgemeinschaft in die falsche Richtung, also in Richtung Ungerechtigkeit und schlechte Sprechbarkeit zu führen. Aber deren Kombination, erst das Einbrennen der Form und später die Vertiefung und nachgereichte Begründung konnten unsere Sprache in diese Sackgasse führen. Dass diese Begründung in den letzten Jahren durch die Linguistik widerlegt wurde hilft offensichtlich nicht mehr aus der Falle. 

Wie finden wir nun heraus aus dieser Sackgasse?

Für den Weg unserer Nachbarsprachen, also das Ausschleichen der femininen Formen aus der Sprache scheint es zu spät. Die In’s und Innen’s stehen inzwischen so im Rampenlicht und erfreuen sich so großer Beliebtheit, dass sie nicht mehr unbemerkt, per ‘französischem Abgang’ die Bühne verlassen können.

Wie es aussieht gibt es langfristig nur den Weg, der weiblichen Endung eine männliche und bei Bedarf eine nonbinäre Endung hinzu zu gesellen. 

So könnte jeder reden wie es ihm richtig scheint. Die einen nutzen die drei symmetrischen Moveme, die anderen stattdessen die Oberbegriffe. Oder mischen die beiden Varianten, ähnlich wie die Sprache unserer Senioren.
Langfristig wird sich das durchsetzen, was am besten funktioniert. Egal was, es wird viel gerechter und sprechbarer sein als das, was wir jetzt haben.

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¹ Dass Hitler als erster (binär) genderte geht auf den Historiker Götz Aly zurück. Es gibt viele Quellen, recherchieren Sie bitte einfach selbst nach “Reden Hitlers”, “Reden Goebbels” usw. und filtern nach Büchern. Im Google Books-Projekt finden Sie Originale wie z.B. “Die Reden des Führers”. Einen besseren Eindruck über die Macht dieser Wort geben aber die Reden wie sie per Volksempfänger und Wochenschau auch die Ohren  unserer Eltern- und Großelterngeneration erreichten. Zu finden z.B. in archive.org per “Advanced search”, dort filtern nach Mediatyp: Audio und Zeitraum). Als Beispiel 2 Reden von Hitler (ab Min. 3:25) und Goebbels.

² Luise F. Pusch über die Kontroverse zu Beginn der feministischen Linguistik im indubio-Podcast am 23. 7. 23 (ab Min. 30).
“Das war eigentlich der Beginn unserer Kritik. Wir hatten vorgeschlagen, wir wollen das “-in” abschaffen. Es ist eine Beleidigung. […]

Da es aber so war, dass die Frauen gesagt haben, ich bin jetzt endlich Dramaturgin hier an meinem Theater, ich möchte jetzt nicht […] sagen, ich bin ein Dramaturg, ich möchte jetzt mal dass in meiner Sprache ein paar Feminina vorkommen.

Und deswegen haben wir gesagt, gut, dann werden wir erst mal die Feminisierung betreiben” 

Somit setzte sich statt einer symmetrischen Geschlechtszuweisung dieselbe Feminisierung der Sprache durch wie sie durch Volksempfänger & Co verbreitet wurde.

³ Falls Sie nicht wissen was gemeint ist, versuchen sie einfach den Satz „Wir brauchen einen neuen Bürgermeister“ in diese Sprache zu übersetzen.