Ähnlich wie “Die Fotografin” bzw. „Lee“ dreht sich auch “Riefenstahl” um das Leben einer Frau zur Zeit des Nationalsozialismus. Beide haben mit ihren preisgekrönten Bildern Geschichte geschrieben. Die eine deckte Hitlers Lügenwelt auf, die andere tauchte in sie ein und zeigte ungewollt, wie schnell die Lügen des Systems zu den eigenen werden.
Auch Hitlers Sprache taucht in beiden Filmen auf.
In “Die Fotografin” nur am Ende der deutschen Version, wo Miller nicht mehr sein darf als “eine der wichtigsten Kriegsberichterstatterinnen”; während sie in der Originalversion “Lee” als “one of the most famous war reporters” geadelt wird. So setzte Hitler mit seinem “Volksgenossen und Volksgenossinnen“ eine frauenfeindliche deutsche Sprache ins Gleis, die sogar 100 Jahre später noch Lee Millers Ausschluss aus der Gemeinschaft aller Reporter erzwingt.
In “Riefenstahl” spielt Hitlers Sprache eine größere Rolle. Nicht nur im Film selbst, sondern auch in der Produktion.
Bei der Sichtung des Nachlasses von Riefenstahl fiel dem Team um Produzentin Sandra Maischberger ein Interview in die Hände, in welchem Riefenstahl erzählt wie sie Hitler zum ersten mal persönlich sah, und was diese Begegnung mit ihr machte. RIefenstahl wörtlich:
“Und dann war diese Versammlung in Berlin, und als er dann seine ersten Worte sprach – meine Volksgenossen, da ist etwas ganz Merkwürdiges in mir vorgegangen, ich zitterte am ganzen Körper, ich wurde schweißbedeckt, ja. Und ich war irgendwie, wie durch einen Magnetismus, eingefangen worden.
Bei der Sichtung der Videoaufzeichnung dieser Rede stellte das Team fest, was Hitler wirklich sagte: “Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen”.
So ergab sich für das Filmteam die Frage, wie sie mit dieser frühen Doppelnennung Hitlers, heute auch binäres Gendern genannt, umgehen soll. Angesichts der großen Streits rund um die Gendersprache und angesichts des Faktes, dass alle, Tendenz wirklich 100%, davon ausgehen, dass nicht Hitler, sondern die Emanzipationsbewegung in den 1980er Jahren mit dieser Art zu gendern begann. Sogar mit dem Slogan, die Frauen „endlich in der Sprache sichtbar“ zu machen. Ist es angesichts dieser Situation zu verantworten, das binäre Gendern Hitlers offen zu zeigen?
Das Team entschied sich für ein „sowohl als auch”. Die Tonspur mit Hitlers Doppelnennung wird mit reduzierter Lautstärke gestartet, sein “Volksgenossen” ist kaum zu verstehen, sehr gut aber Riefenstahls „Volksgenossen“ in voller Lautstärke. Ihre Stimme endet mit Hitlers kaum zu verstehenden ersten Teil seiner Doppelnennung. Erst danach wird die Tonspur mit Hitlers Sprache hochgeregelt; der zweite Teil seiner Doppelnennung ist laut und deutlich: “und Volksgenossinnen”.
Es ist also raus. Die es wissen hören es, die es nicht wissen vielleicht nicht.
Kann es sein, dass wir, also unsere Gesellschaft, ein Problem mit dieser Wahrheit hat? Oder gleich zwei Probleme: einmal damit, dass ausgerechnet Hitler das, was viele heute für die Lösung des Gendersprachenstreits halten, schon damals praktizierte.
Und zweitens dass wir alle, vor allem Frauen der ’80er diese Sprache übernahmen und verbreiteten, während die uns verwandten Sprachen einen anderen, einen gerechteren und sehr viel besser sprechbaren Weg gingen.
Zwei Dinge, die unerhört scheinen, weil sie offensichtlich lange niemand hören wollte, weil sie vielleicht Teil eines Tabus sind. Und deswegen in unserer Öffentlichkeit so unbekannt sind.
Wie dem auch sei, praktisch hundert Jahre danach ist diese verrückte Realität ans Licht gekommen und hat inzwischen auch die Sprachwissenschaften erreicht. Allerdings ist mit wissenschaftlich abgesicherten Ergebnissen so schnell nicht zu rechnen.
Aber statt zu lange zu warten können sich schon ein eigenes Bild machen.
Es geht ja hier „nur“ um die Sprache; es geht es nicht darum, ob und wie Menschen von Hitler magnetisiert wurden. Es geht nicht darum, ob er Frauen besonders magnetisierte, oder auch Männer. Und es geht auch nicht darum welche seiner Wesenszüge dabei eine Rolle spielten.
Es geht noch nicht einmal darum, ob Hitler wie vermutet die Doppelnennungen nur deswegen nutzte, um die seit 1918 mitwählenden Frauen für sich zu gewinnen.
Nein, es geht „nur“ um die Frage, ob sich Hitlers Doppelnennungen mit ihrer jahrzehntelangen millionenfachen Verbreitung per Volksempfänger-Propaganda so fest in unsere Sprache einbrannten, dass dadurch die Entwicklung, wie sie die anderen Sprachen unserer Sprachfamilie nahmen, blockiert wurde.
Dass also unsere Sprache nicht an den jahrtausende alten Oberbegriffe fest hält, sondern bereit ist sie den femininen Endungen zu opfern. Egal, ob unsere Sprache durch diese ungerechte Asymmetrie immer schwerer sprechbar und immer stärker sexualisiert wird.
Dafür spricht die massive Verbreitung der Nazireden bis in die Ohren aller, egal wie alt und egal mit welcher politischen Einstellung.
Dagegen spricht vor allem dass nicht sein kann was nicht sein darf. Wahrscheinlich hat es eben aus diesem Grund hundert Jahre gedauert, dass die Wahrheit ans Licht kam.
Auf jeden Fall einen Dank an Frau Maischberger und ihr Produktionsteam. Wenn ihr Umgang mit Hitlers Doppelnennungen wegweisend ist, gibt das Hoffnung. Hoffnung, dass es wir es trotz der Tabus schaffen, Hitlers Sprache zu entlarven und abzuschütteln.