Bei diesen ganzen irritierenden Infos gibt es natürlich viele Fragen. Hier die in unseren Augen wichtigsten. Zögern Sie bitte nicht, uns Ihre Fragen zu schicken. Wir sind vernetzt mit Sprachwissenschaftlern und Historikern, und werden unser bestes geben um sie zu beantworten. Und diese, wenn nicht zu speziell, hier zu posten.
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Hitler soll etwas mit Gendersprache zu tun haben?
Ja, es ist wirklich unglaublich. Von ungefähr 100 Befragten wusste das nur einer; und der schreibt gerade seine Dissertation über die sprachwissenschaftliche Geschichte des weiblichen Movems, also über das „-in“.
Ein Blick in die Originale¹ zeigt schnell, dass es nicht um FakeNews geht. “Deutsche Volksgenossen und Volksgenossinnen”, wenn er zum Volk sprach, “Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen”, wenn er zu seinen Parteigenossen sprach, heute „binäres Gendern“ genannt.
Aber nicht nur Hitler sprach so; all die anderen auch. Goebbels gendert zum Beispiel in seiner berühmten Totale-Kriegs-Rede gleich sechs mal: In der Anrede “Meine deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen, Parteigenossen und Parteigenossinnen.”, im Text drei mal „Arbeiter und Arbeiterinnen“, und einmal tatsächlich mit „Angestellte und Arbeiterinnen“ eine Mischnennung; Gendern für Fortgeschrittene.
Zusammen gefasst: es sieht fast so aus, als hätten Hitler, Goebbels & Co ihre Sprache aus einem Praktikum in den Öffentlich-Rechtlichen der 2024er Jahre.
Was eigentlich noch unglaublicher ist: Wieso weiß heute praktisch niemand, dass all diese Schlächter während dieser exakt durchforschten und mit Material belegten Schlüsselphase unserer Geschichte in einer Sprache redeten, von der alle denken, dass sie erst in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der „Gendergerechtigkeit“ ins Leben gerufen wurde? Durch ein Tabu alleine lässt sich das wahrscheinlich nicht erklären, da müssen mehrere Dinge auf unglückliche Art zusammen gespielt haben.
¹ Audiodateien Hitler 30.1.40 (ab Min. 3:25) und Goebbels 19.4.45
Text Hitlerrede 12. 4. 22, Seite 8 (in „Reden Adolf Hitlers“, Autor Hitler, Morgenlicht-Verlag, 2022)
Wieso begannen Hitler & Co mit dem binären Gendern?
Der erste Grund liegt auf der Hand. Seit 1918 durften in Deutschland und Österreich endlich Frauen mitwählen. Nach dem Krieg gab es über 2 Millionen Frauen mehr als Männer, ohne sie konnte keine Wahl mehr gewonnen werden. Die NSDAP war die einzige Partei, die statt der gewohnten kurzen Oberbegriffe (verehrte Zuhörer, werte Genossen usw.) die sexualisierende Ansprache wählte, und so die Frauen besonders ansprach. Interessant in diesem Zusammenhang ist Riefenstahls Aussage im gleichnamigen Film von 2024, wo sie über ihre erste Begegnung mit Hitler, anläßlich einer Rede, berichtet: “Und dann war diese Versammlung in Berlin, und als er dann seine ersten Worte sprach – meine Volksgenossen, da ist etwas ganz Merkwürdiges in mir vorgegangen, ich zitterte am ganzen Körper, ich wurde schweißbedeckt, ja. Und ich war irgendwie, wie durch einen Magnetismus, eingefangen worden.” Bemerkenswert, dass sich Riefenstahl nur an “meine Volksgenossen” erinnert. In Wirklichkeit sagte Hitler “Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen”. Vielleicht steht Riefenstahls Erinnerungslücke symptomatisch für die unserer ganzen Sprachgemeinschaft nach 1945, wo offensichtlich selbst die Feministinnen der 1980er Jahre bei ihrer Suche nach einer geschlechtergerechten Sprache nicht merkten, dass “ihre” Sprachidee in Wirklichkeit gerade mal 40 Jahre vorher von Hitler praktiziert wurde.
Ein zweiter Grund, dass Hitler binär genderte, könnte der folgende sein: Diese Sprache passt zum Frauenbild der Nazis wie die Faust aufs Auge. In ihr haben die Männer die Stammform (Genossen), die Frauen werden nur aus dieser männlichen Stammform abgeleitet (Genossinnen). Wie in der Bibel, wo Eva nur aus der Rippe Adams geformt wird. Und genau wie im Menschenbild der Nazis: Männer sind “Stammhalter” und Familienoberhaupt, Frauen müssen sich unterordnen und dürfen “ihr wahres Wesen” im Haushalt, möglichst kinderreich, verwirklichen.
War Hitler der erste, der so sprach?
Nein, das weibliche Movem, aus dem unser “-in/-innen” hervorging, gibt es schon seit 2.000 bis 4.000 Jahren. Es hatte sich – sehr wahrscheinlich – in einer patriarchalen Gesellschaft entwickelt, um Frauen als Geschlechtsobjekt zu kennzeichnen; ähnlich wie die Pfiffe der Männer auf Baustellen. Auch für Männer hatten sich Endungen entwickelt, aber nicht wirklich etabliert: Wüterich, Elferich, Geigerich, Enterich.
Was Hitler aber als einer der ersten machte, war die direkte Verknüpfung des Kurzbegriffs (Genosse) mit dem weiblichen Begriff (Genossin).
Damit hebelte er einen Jahrtausende alten Sprachgebrauch aus:
Sprachforschungen haben vor kurzem ergeben dass “Nomina agentis”, also “Namen für Handelnde” wie Jäger, Sammler, Lehrer, Schüler usw. zu einer Zeit entstanden sind, als es noch keine maskulinen und femininen Artikel gab. Sondern nur zwei Artikel; einer für Belebtes (später das “der”) und einer für Unbelebtes (später das “das”). Wenn also damals von “Sammlern” oder „Bäckern” gesprochen wurde, hatte das so viel mit Männern zu tun wie ein Fisch mit einem Fahrrad zu tun hat. Natürlich dachte man, wenn es in einem Dorf nur männliche Jäger gab, bei diesem Wort an Männer. Aber mit der Sprache hatte das nichts zu tun, sondern „nur“ mit der faktischen Situation.
Hitlers “Genossen und Genossinnen” stellte diese Jahrtausende lang gewachsene Sprache mit einem Mal auf den Kopf. Denn “Genosse” war hier, in der logischen Interpretation der Doppelnennung, plötzlich kein Wort mehr für alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, sondern nur noch ein Wort für Männer.
So leitete Hitler um 1920 genau die Sprachinterpretation ein, die uns heute das Leben so schwer macht. Die zum m/w/d führte, zur sinnentleerten Verwendung von Partizipien und inzwischen auch zur Diskriminierung nonbinärer Menschen; bei jeder einzelnen Doppelnennung. Kurz: Hitler führte unsere Sprache in unseren heutigen Gendersprachenstreit.
Dabei war Hitler nicht der erste, der diese Doppelnennungen nutzte. Selbst Goethe konnten vereinzelte Doppelnennungen wie “Freunde und Freundinnen” nachgewiesen werden; auch Friedrich Ebert um 1900 ein “Arbeiter und Arbeiterinnen“”. Aber im Gegensatz zu ihnen wählte Hitler diesen Weg nicht aus Respekt Frauen gegenüber, sondern aus Kalkül, um Wahlen zu gewinnen. Dann, als er ‘33 gewählt war, sah er sich dazu gezwungen, bei dieser Sprache zu bleiben. Die dann nicht nur hundertfach ins Mikrofon gebrüllt wurde, sondern per Volksempfänger und Wochenschau millionenfach vervielfältigt in die Gehirne aller Menschen, bis in den letzten Winkel des Reiches; ob diese Menschen das wollten oder nicht. Dieses Einhämmern der Doppelnennungen ins Sprachverständnis einer ganzen Sprachgemeinschaft der eigentliche Unterschied zu den Doppelnennungen Goethes und Eberts.
Welche Auswirkungen hat das Gendern Hitlers auf unsere heutige Sprache?
Nach 1945 kam das Schweigen und die Tabus.
Interessant ist die unterschiedliche Entwicklung der Sprache in beiden Teilen Deutschlands. Im Osten, wo die von Hitler brutal verfolgten Kommunisten das Sagen hatten, konnte seine Sprache zunächst keinen Fuß zu fassen. Lehrer waren alle, die unterrichteten, und Ingenieure alle, die Ingenieurwesen studiert hatten; egal welches Geschlecht.
Anders die Entwicklung im Westen: im Nachgang der 68er Jahre entwickelte sich hier ein anderes Selbstbewußtsein der Frauen. Während die Frauen in der DDR schon 1950 ? rechtlich gleichberechtigt waren, sahen sie offensichtlich keine Notwendigkeit, diese auch in der Sprache zu verwirklichen.
Im Westen entwickelte sich je nach Sichtweise das Gefühl oder die Einsicht, dass die Gleichberechtigung beschleunigt werden kann, wenn schon vorher die Sprache gerechter wird.
Es gab unterschiedliche Ansichten, wie das passieren sollte.
Während die einen, vor allem Frauen mit linguistischem Hintergrund, eine symmetrische Sprache anstrebten, entwickelte sich eine Dynamik Richtung Feminisierung der Sprache.mit praktisch den gleichen Doppelnennungen wie Hitler sie ungefähr 60 Jahre vorher in die Gleise setzte.
So schaffte es die Sprache Hitlers, sich praktisch unerkannt in die heutige Zeit zu retten. Selbst neue und als besonders gerecht geltende Worte wie Sammler*innen leiten sich aus dieser Sprache, also einem als männlich interpretierten Sammler und einer weiblichen Sammlerin ab. Die Gendergap-Sprache ist im Grunde der verzweifelter Versuch, die asymmetrische Sprache Hitlers mit irgendwelchen Tricks, egal wie, in eine gerechte zu verwandeln. Was natürlich zum Scheitern verurteilt ist: wenn 100 Sammler*innen sammeln, davon 48 Sammlerinnen und 49 Sammler, wie heißen dann die 3 nonbinären Sammler? Sie haben keinen Namen, und werden in dieser Sprache auch nie einen haben können.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Zukunft unserer Sprache?
Erstens diesen Weg stoppen.
Je früher das passiert, desto weniger wird unsere Gesellschaft weiter zerrissen; wenigstens in diesem Punkt. Die Kurzbegriffe müssen wieder zu den Oberbegriffen werden, die sie Jahrtausende lang waren; genau wie in unseren germanischen Nachbarsprachen. Das generische Maskulinum war der falsche Angeklagte. Wenn überhaupt, dann liegt die Ungerechtigkeit in der Asymmetrie der Sprache. Sie passt zum Frauenbild der Nazis, aber doch nicht zu denen, die unsere Sprache gerechter machen wollen!
Welche Rolle spielen die Doppelnennungen bei all dem?
Doppelnennungen werden verbunden mit Respekt für Frauen. Denn sie „machen die Frauen endlich in der Sprache sichtbar“.
So wenigstens der Slogan seit den 80er Jahren.
Aber: sprachlich greift jede einzelne Doppelnennung Funktion der Jahrtausende alten Oberbegriffe an. Wer von „Zuschauern und Zuschauerinnen“ redet, hat keinen Namen mehr für alle, die zuschauen. Sonst würde er ihn nennen. In der Doppelnennung jedenfalls sind Zuschauer nur noch Männer, wodurch die Oberbegriffe umgedeutet und langsam zerstört werden.
Diese sprachliche Interpretation ist aber nur die eine Seite. In einer Zeit, wo nur Männer studierten, Handel trieben, Fahrzeuge führen und Ämter inne war das weibliche Movem, also das „in“ und erst recht ein „Zuhörer und Zuhörerinnen“ ein mutiges Bekenntnis dazu, dass Frauen mit dazu gehören, Es war eine Provokation der Männerherrschaft. Das Aufblühen des weiblichen Movems in der Zeit der Aufklärung, also der Schauspieler“in“ und der Student“in“ war zwar sprachlich auch schon damals eine Bedrohung für die Oberbegriffe Schauspieler und Student, aber das damit verbundene politische Statement für eine gleichberechtigte Gesellschaft war viel wichtiger.
Heute ist die Gleichberechtigung erreicht; aktives und passives Wahlrecht, Studium, Auto fahren, das alles ist kein Thema mehr. Wir brauchen die Provokation nicht mehr. Durch die Häufigkeit der Doppelnennungen in der Sprache der Medien drängt sich nun die andere Seite der Medallie, die sprachliche Seite in den Vordergrund.
Und es bleibt ein einfacher Fakt, dass jede Doppelnennung die Jahrtausende alten Oberbegriffe Stück für Stück ihrer generischen Funktion beraubt.
Doppelnennungen wurden einmal gebraucht, sie waren aus gesellschaftlichen Gründen wichtig. Aber heute befreien sie nicht mehr unsere Gesellschaft. Sie sind kein Weg mehr zu einer Lösung, heute sind sie nur noch Teil eines Problems. Des Problems, dass wir unserer Sprache die Oberbegriffe rauben.
Geht nicht einfach "Augen zu und durch"?
Das mit Hitler ist ja wirklich furchtbar. Können wir das nicht ‚rechts liegen lassen‘ und einfach weiter machen wie bisher? Augen zu und durch?
Nein, das wird nicht gehen.
Verrückt ist ja – unter anderem – das hier: sowohl die Sprachbewahrer als auch alle Gendersprachler, egal ob die mit den Doppelnennungen oder die mit der Sprechpause, all diese Streitparteien sind sich in einem einig: in seltsamer Eintracht an der asymmetrischen Sprache, wie sie Hitler nutzte, festzuhalten.
Daran festhalten bedeutet aber:
Die Männer, also die „Genossen“, werden auf immer und ewig die schönen kurzen Stammformen haben.
Die Frauen, die Genossinnen, werden auf immer und ewig aus den Männern abgeleitet, sind ihnen untergeordnet.
Und die Nonbinären werden in dieser Sprache nie abgebildet werden können, denn sie baut auf einem binären Menschenbild auf. Sie bekommen vielleicht ein Sternchen, aber keine eigenen Namen.
Es wird also nie gerecht werden können.
Wenn sich aber alle Streitparteien in einem einig sind, nämlich an dem festzuhalten, was das Problem in sich trägt, wird es nie zur Lösung des Problems kommen.
Das ist die Lizenz für einen Streit auf ewig.
Deswegen: Augen zu und durch geht nicht. Es werden immer welche in 2, 5 oder in 10 Jahren merken, dass da etwas nicht stimmt. Der Streit wird weiter gehen, bis uns irgendwann eine KI verrät, was da nicht stimmt 😉